Birgit Singh-Heinike verabschiedet sich nach knapp 6 Jahren als Schulleiterin mit rührender Rede

Birgit Singh-Heinike hat sich nach knapp 6 Jahren als Schulleiterin der Stadtteilschule am Hafen mit einer rührenden Rede verabschiedet. Das Kollegium wünscht ihr alles Gute für ihren weiteren Lebensweg und sagt DANKE!

„Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, liebe Eltern, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Kooperationspartner der Stadtteilschule am Hafen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Konsulaten, der Senatskanzlei ,den Kirchen, der Polizei, YoungClassiX und der Musikschule, des St. Pauli-Theaters, liebe Förderer, liebe Kollegen aus der BSB, lieber Herr Senator Rabe,

vor genau fünf Jahren und acht Monaten habe ich mein Schiff hier an der Stadtteilschule am Hafen angelegt, habe das System betreten und es sukzessiv in seiner Komplexität erfasst. Mutig wie ich bin, hatte ich die Bedenken von schulischen Systemkennern wie „Bist du sicher, dass du das willst? Die Stadtteilschule am Hafen wird als eins der schwierigsten, wenn nicht als das schwierigste Konstrukt in der Schullandschaft gesehen!“ in den Wind geschlagen.

Mich faszinierte die hohe Anzahl der IV-Klassen und genau diese Komplexität, vier schulische Standorte über zwei Bezirke gezogen und zweifach in den Räumlichkeiten mit anderen Schulformen verbunden, der Grundschule und der Berufsschule.

Im Folgenden möchte ich Sie und Euch, meine lieben Gäste, für 15 Minuten einladen, auf eine kleine Reise durch die Zeit mit meiner Brille. Alle diejenigen, von Ihnen, von Euch, die in meinem Büro waren, wissen, dass es dort 5 Bilder gab. Im Moment meines Amtsantrittes hatte ich sie malen lassen von der Künstlerin Birgit Derker. Ich hatte ihr dazu Gedankenschnipsel, Leitsätze und einen Zeitungsartikel – alles bezogen auf unsere Schule, meine Vision, meine Vorstellungen des Wirkens hier, zur Verfügung gestellt. Sie verarbeitete diese in fünf Bildern. Die Bilder erhielten einen Titel auf der Rückseite und eine kleine römische Nummerierung auf der Vorderseite. Nun, nur um es sicher zu stellen, ich wusste damals natürlich nicht, das es circa fünf Jahre werden würde würden, die ich als Schulleiterin in unserer Schule wirken würde. Ich hatte auch die Bilder nicht mit ihren Titeln bestellt. Aber schließlich kam es so, und jedes Bild entwickelte, mit seinem Thema, jährlich eine Resonanz zu meiner Arbeit in der Stadtteilschule am Hafen.

Das erste Bild trug den Titel Wurzeln

Das Schuljahr 14/15 stand für mich unter dem Motto Wurzeln schlagen, die Aufgabe annehmen, akzeptiert sein… Das war alles andere als einfach. Dann zeitnah kam die Aufforderung den Standort Altona zu schließen. Aus dieser Aufforderung kreierten wir mühsam einen Schulentwicklungsprozess. Wir legten konzeptionelle Brücken zwischen den Standorten, nicht zuletzt auch durch mein ständiges Pendeln von einem Ort zum anderen.

Im Schuljahr 15/16 war es das „Herz“. Es war das letztendlich empathische Verstehen innerhalb unserer Komplexität, in Verbindung mit deutlichen Ansagen, die mich durch dieses Jahr begleitet haben. Wir fokussierten die Schulentwicklungsschwerpunkte wie die standortübergreifenden Standards für Berufs- und Studienorientierung, (die jetzt erkennbare Früchte tragen) und vereinbarten den Unterrichtsentwicklungsschwerpunkt unserer selbst verantworteten Lernzeit, die ständig viele Hospitanten aus Hamburger Schulen anzieht. Dieses Schuljahr meines Herzens, war auch das Jahr der so genannten Flüchtlingswelle. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir zwölf IV-Klassen. Unsere engagierten Lehrerinne und Lehrer, waren es, die andere, in ihrem höchst individualisierten Unterricht, in den IV-Klassen hospitieren ließen, und ich glaube, ich darf rückblickend sagen: Wir waren der schulische Leuchtturm in dieser herausfordernden Zeit!

Dann kam das schwere Jahr, das der Verantwortung, das Schuljahr 16/17. Gleich zu Beginn des Schuljahres am 09.09.16 starb mein Mann, an einem Herzinfarkt nach dem Tennisspielen. Mir wurde die Endlichkeit des Lebens vor Augen geführt. Ein weiteres Leitungsmitglied erkrankte. So waren wir dann eine lange Zeit zu viert, wo wir eigentlich sechs Leitende sein sollten. Dennoch – ich entschied mich für Standhaftigkeit und Verantwortung. Wir entwickelten weitere horizontale Unterrichts- und Organisationsschwerpunkte, installierten die Funktion des Qualitätsmanagers, führten die KollegInnen und SchülerInnen des Standorts Altona in die Neustadt und kämpften gemeinsam auch mit der D 23 Expertise und der Schulaufsicht, um den richtigen Weg für die Schule. So schlug der rudimentäre Leitungsrumpf von vier Leitungsmitgliedern eine grundsätzliche Neustrukturierung vor. Teile unseres Kollegiums konnten nicht folgen. Verantwortung tragen heißt auch sich Fehleinschätzungen einzugestehen, aus Niederlagen zu lernen, einen Schritt zurück zu gehen, um wieder einen Schulterschluss mit allen zu finden.

Nach dieser Erkenntnis wurde der Weg freier für mich und es setzte tatsächlich im Schuljahr 2017/18, wie auf dem Bild 5, so etwas wie Freude ein. Der Umzug unserer Altonaer war abgeschlossen, mittlerweile hatten wir über die kontinuierliche Besetzung von A 14 Stellen ein starkes mittleres Management aufgebaut, das die Entwicklungsvorhaben der Schule miteinander vernetzt und aufeinander bezieht. Immer öfter empfand ich Freude und Dankbarkeit darüber, diesen Job zu haben und die Sicherheit, die damit verbunden ist. Ich genoss die langen unterrichtsfreien Zeiten, die Zusammenarbeit mit vielen, großartigen Kolleginnen und Kollegen innerhalb und auch außerhalb der Schule; im Kontext von D 23, im Kontext der Europa Schule, im Kontext der BSB und der SprecherInnen, und der Schulinspektion, im Kontext mit Musik und Theater. Freude daran, unsere Schule vernetzen zu können, Freude am Ringen um Schulentwicklungs- und Führungsprozesse. Es begann ganz allmählich in den Bahnen zu laufen, die wir angelegt hatten.

Im Januar 2018 nahm ich drei Wochen unbezahlten Urlaub und blieb in Indien, schrieb, saß am Ganges, erlebte den Sonnenuntergang beim Taj Mahal. Schlüpfte nochmal in das tiefe Bewusstsein der Endlichkeit unserer Zeit. Als ich zurückkam, stand der Entschluss. Ich führe die Schule noch zwei Jahre, arbeite kontinuierlich weiter an den Entwicklungsschwerpunkten, an der Vernetzung untereinander und an dem Bild „Die Stadtteilschule am Hafen ist eine gute Schule“. Dann setze ich die Segel.

Jetzt, was meinen Sie, was meint Ihr, ist der Titel des letzten Bildes gewesen, die von 2014 bis letzten Freitag in meinem Büro hingen?

Mission

Tagtäglich da sein für unser Schule und unsere Schüler, sie nach innen und außen vertreten, ihre Stärken intensivieren, die Entwicklungsstränge konsequent halten, eine Musikklasse in Kooperation mit der Musikschule ins Leben rufen, Musik und Theater-Projekte fördern, intensivieren – und dadurch auch unseren Schülern Flügel verleihen. Gemeinsam mit der koordinierenden Sozialpädagogin und dem Leitungsteam Strategien entwickeln, präventive Konzepte denken, um Antworten zu finden auf die Schülerinnen und Schüler, die uns am meisten Sorgen bereiten. Unendlich viele Gespräche führen mit allen an Schule Beteiligten oft mit Herz und Empathie, manchmal mit stringenter Klarheit, selten mit der Autorität von Weisung. Ich setzte gemeinsam mit meinem Team der Leitung und auch mit der A14 Riege auf das, was Michael Slanabitnik im Rahmen des MovIn Orchestras so wunderbar ausdrückte: „Wir müssen etwas Bewegliches sein, etwas, was sich auf dem Weg befindet, eine Richtung hat, vielleicht auch ein Ziel. Aber das eigentliche Ziel wohnt dem Namen schon inne – Be-WEG-ung ist das Ziel.“

Herzlichen Dank an Euch, dass Ihr diesen Weg mit mir gegangen seid.

Was ist sie es, diese Mission, die in Be-Weg-ung bleiben muss? Ich glaube, es ist eine, die uns alle hier in diesem Raum vereint. Die auseinanderfliehenden Kräfte der Gesellschaft zu bündeln. Den individuellen Menschen, in diesem Zusammenhang unsere Schülerinnen und Schüler, in ihrem unterschiedlichen „Geworden Seins“ zu sehen, zu verstehen, sie anzuerkennen, ihnen Rahmen und Halt zu bieten und sie herauszufordern im Vertrauen auf ihr Können. Tagtäglich und immer wieder neu durch Bildung, Erziehung und Präsenz eine vielfältige Gesellschaft zu kreieren. Eine Gesellschaft, die die Kraft entwickelt, die großartigen Ressourcen, die in der Vielfältigkeit von Sprachen, Kulturen, Lebensentwürfen, Lebensbedingungen und Lebensvoraussetzungen sind, demokratisch zu heben. Und dabei müssen wir, vielleicht auch manchmal die innere Spannung aushalten und es als Bereicherung sehen, dass wir alle auf das Gleiche gucken, aber mit unterschiedlichen Brillen.

Ich danke Ihnen und Euch allen für diese großartige und lehrreiche Zeit. Gucke ich heute zurück, so war es mir eine große Freude und auch Ehre die Schulleiterin der Stadtteilschule am Hafen und ein Teil unserer gemeinsamen Bewegung sein zu können.

Ich werde in den nächsten Tagen ablegen und meine „Mission“ frei und außerhalb von systemischer Gebundenheit verfolgen.

Sie lieber Herr Rabe, dem ich nun gleich das Mikrofon übergebe, werden es, so der Wähler es will, vielleicht weiterhin aus der Position des Dirigenten tun.“

Birgit Singh-Heinike: www.birgitsingh-heinike.de